Hof Sagel in Bottrop-Kirchhellen

Vor einigen Wochen erhielt ich eine Mail von Burkhard Sagel, der sich über unsere Vorgehensweise, mit den Landwirten gemeinsam etwas für den Tierschutz zu tun sehr positiv äußerte. Er selbst hat ein interessantes Konzept umgesetzt, das wir uns vor einigen Monaten angeschaut haben.

Ursprünglich hatte Burkhard Sagel rd. 3000 Schweine auf seinem Hof, die Schweinehaltung dann aber – wie so viele – aufgegeben. Den alten Schweinestall wurde umgebaut und beherbergt nun etwa 30 Rinder, wenn sie nicht (bei besserem Wetter als jetzt) auf der Weide sind. Und da sind wir schon beim ersten Problem: in der Gegend gibt es seit einiger Zeit wieder Wölfe, die leider schon so viele Menschen gesehen haben, dass ihnen die natürliche Scheu verloren ging. Das heißt, sie ziehen sich nicht in den Wald zurück, um den Kontakt zum Mensch zu vermeiden, sondern nehmen seine Nähe in Kauf und lassen sich nicht davon abhalten die Rinder zu hetzen, zu verletzen und letztlich auch zu töten. Um seinen Tieren das zu ersparen hat Burkhard Sagel seine gesamte Weide mit einem 1,20 m hohen, stabilen Elektrozaun eingefasst. Erhebliche Kosten, wie man sich unschwer vorstellen kann. Trotzdem ist er kein Freund davon, einfach jeden Wolf abzuschießen. „Wenn er die Nase im Wald behält, kein Problem.“ Das alte Dilemma im Tierschutz: wo darf, wo muss der Mensch eingreifen? Welches Lebewesen zählt mehr? Soll man den Wolf leben lassen und sich anschauen, wie er die Kälber oder Schafe metzelt? Oder sorgt man für die Herde und tötet deshalb den Wolf? Der teure Elektrozaun wird hoffentlich dafür sorgen, dass dieser Konflikt hier gar nicht erst aufkommt.

Denn Burkhard Sagel ist ein Tierfreund. Mit seinen Schweinen hat er nach eigener Aussage seinerzeit zwar um einiges mehr verdient, aber mit den 30 Rindern hat er die Möglichkeit, ihnen ein schönes Leben zu bieten und das zählt für ihn. Ja, auch er lässt immer mal wieder ein Rind schlachten, hat dafür aber einen kleinen Schlachtbetrieb in der Nähe gefunden und mit ihm eine besondere Vereinbarung getroffen: wenn seine Tiere (immer zwei um den Stress zu verringern) kommen, sind keine anderen da. Dafür bringt er sie schon morgens um 6.00 Uhr, achtet darauf, dass sie ruhig entladen werden und der Schlachter sich ausrei­chend Zeit nimmt um mit präzise platziertem Bolzenschuss einen schnellen, sicheren Tod zu gewährleisten. Das Fleisch vertreibt er als Direktvermarkter unter www.tierfreundliche-landwirtschaft.de und in kleinen Mengen auch im nahegelegenen Lebensmittelhandel.

Bis dahin aber haben seine Rinder ein gutes Leben geführt. Neben einem kastrierten Bullen sind 24 Kühe und zurzeit 6 Kälber im Stall. Sie können überall herumlaufen, lediglich die hochträchtigen Kühe sind durch ein Gatter von den anderen getrennt. Sie können sich sehen, können sich berühren aber sind in ihrem eigenen Bereich, wenn die Geburt beginnt. Bullenkälber sind leider schwierig in der Gruppe aufzuziehen, da sie nach wenigen Monaten schon beginnen, alle Weibchen besteigen zu wollen. Die Bullenkälber werden mit ca. 3-4 Monaten vom Tierarzt kastriert und können deswegen problemlos zusammen mit den weiblichen Kälbern bei den Mutterkühen bleiben. Mit 7-9 Monaten werden die Kälber von den Mutterkühen getrennt.  Das passiert, damit die Mütter nicht vollends abmagern. Tatsächlich sieht man bei einer Kuh, die ihr Kälbchen schon sehr lange säugt, dass sie deutlich magerer ist als die anderen, deren Kälber schon entwöhnt sind. Hier liegt natürlich auch ein großer Vorteil dieser überschaubaren Gruppenhaltung. Burkhard Sagel kennt jedes Tier beim Namen, kennt die unterschiedlichen Charaktere, Vorlieben und Abneigungen und merkt sofort, wenn es einem seiner Tiere nicht gut geht oder eine „junge Mutter“ mit ihrem Kind überfordert ist. In der Massenhaltung von tausend und mehr Kühen unmöglich.

Wir durften uns in der Gruppe frei bewegen und gleich kamen ein, zwei „verschmuste“ Tiere an und forderten Streicheleinheiten. Wir lernten, dass man ein Rind am Hals oder Rücken, nicht jedoch auf dem Kopf kraulen sollte, dass sie an der Schwanzwurzel kitzelig sind und dann ganz lustig den Hals verdrehen, dass man besser fest als zu sanft streichelt (damit das riesige Tier auch etwas spürt) und, dass sie durchaus auch eifersüchtig sein können. „Was, der krault dich und nicht mich? Dann schubs‘ ich dich aber mal ganz flink weg!“ Und wenn sie keine Nähe möchten zeigen sie es auch ganz deutlich durch ein abwehrendes Kopfschütteln. Etwa 800 kg hat so eine Kuh, da möchte man als menschliches Leichtgewicht lieber nicht geschubst werden!

Aber wo sind ihre Hörner? Sagel hält nichts vom Enthornen, das hören wir gern und erfahren, dass man ganz problemlos hornlose Tiere züchten kann. Warum tut man den Tieren denn dann noch immer das schmerzhafte Enthornen an? Weil die Zuchtlinien ohne Hörner den Nachteil haben, dass sie weniger Milch und Fleisch liefern. Für diejenigen, die Wirtschaftlichkeit über Tierwohl stellen, leider keine Option.

Burkhard Sagel hat es nicht bereut, 30 Rinder statt 3000 Schweine eingetauscht zu haben, aber er muss seine Kreativität spielen lassen, um wirtschaftlich überleben zu können. So gibt es auf dem Hof die Möglichkeit, Gemüsegärten zu mieten, er bietet Grillseminare an, man kann Kindergeburtstage dort feiern und „Kuhkuscheln“ buchen.  Coronabedingt momentan natürlich nicht. Aber: man kann Patenschaften für Kälbchen übernehmen. Ein Kälbchen das ausreichend Paten hat wird nicht geschlachtet. Man darf es gerne besuchen (das ist sogar ausdrücklich erwünscht!) und kann alles – z.B. auch schon seine Geburt – via Webcam beobachten. Ein echtes Erlebnis!